Noch ist keine Bundestagswahl, obwohl einige Wahlplakate schon die Laternenmasten schmücken. Dabei geht es allerdings nicht um Sitze im Berliner Parlament, sondern um die Mitgliedervertretung des Bremer Deichverbands am rechten Weserufer. Rund 89.000 Grundstückseigentümer rechts der Weser sind aufgerufen, bis zum 4. Juni an den Deichamtswahlen per Briefwahl teilzunehmen.
Im Gegensatz zu so mancher bundespolitischen Entscheidung hat die Arbeit des Deichverbands ganz unmittelbare Auswirkungen vor Ort. Denn ohne die Deiche und deren Schutz wäre Bremen nicht überlebensfähig: »Wenn wir eine größere Sturmflut hätten, würden ohne die Deiche 90 Prozent des Stadtgebietes nicht mehr aus dem Wasser gucken«, sagt Wilfried Döscher. Er ist Geschäftsführer des Deichverbands am rechten Weserufer. Aber nicht nur Sturmfluten von der Nordsee können Bremen gefährlich werden, sondern auch Schneeschmelze und Regen, die aus dem Landesinneren über die Weser angeschwemmt werden. »Bremen liegt hier an einer Nahtstelle«, so Döscher.
Anders als man vielleicht vermuten würde, ist der Deichverband nicht Amt oder Behörde, sondern eine Genossenschaft aller Grundstückseigentümer. Wer in Bremen ein Grundstück erwirbt, wird automatisch Mitglied und muss regelmäßig Beiträge an den Deichverband entrichten. Diese Organisation hat eine lange Tradition. In seiner heutigen Form gibt es den Deichverband seit 1940. »Die Deichverbände am linken und rechten Weserufer blicken auf eine Tradition zurück, die bis ins 17. Jahrhundert reicht«, sagt Wilfried Döscher. Die Bürger hätten den Hochwasserschutz in eigene Hände genommen, anstatt ihn dem Staat zu überlassen.
Und die Arbeit des Deichverbandes habe sich in der Vergangenheit insbesondere bei Sturmfluten bezahlt gemacht, sagt Döscher. Im Jahr 1962 gab es die bis dahin größte Sturmflut. »In Hamburg sind damals 300 Menschen gestorben. In Bremen haben die Deiche am rechten Weserufer gehalten, aber wir sind nur mit einem blauen Auge davongekommen«, berichtet Döscher. Danach wurde viel Geld für Deicherhöhungen in Bremen ausgegeben und an Hunte, Ochtum und Lesum wurden Sperrwerke errichtet. Die nächste höhere Flut kam 1994, sie war sogar einen Zentimeter höher als 1962.
»Aber im Gegensatz zu damals, wo Katastrophenalarm war, hat man von dieser Flut so gut wie nichts mehr gemerkt, weil die Deiche nun entsprechend höher waren«, sagt Döscher.
Die Mitglieder des Deichverbandes wählen sich regelmäßig eine Vertretung, die Deichamt genannt wird. Aus 31 Wahlbezirken rechts der Weser wird je eine Person gewählt, die ihren Teil der Stadt mit allen spezifischen Anforderungen an den Hochwasserschutz vertritt. Die Wahlbezirke liegen nicht nur direkt am Weserufer, sondern auch fernab des Flusses, wo man sich zunächst vor Hochwasser sicher wähnt. Doch auch hier muss immer wieder Wasser abfließen, zum Beispiel über Gräben oder den Torfkanal in Findorff. Auch darum kümmert sich der Deichverband.
In Hastedt treten zwei Listen zur Wahl an: die Bremer Deichschutzliste und die Bürgergruppe Deichsicherheit. Für die Bremer Deichschutzliste tritt Gabriele Bredow an. Sie war früher Beiratssprecherin in Hemelingen und hatte dadurch schon erste Kontakte zum Deichverband. Vor der letzten Wahl vor fünf Jahren wurde sie gefragt, ob sie kandidieren wolle. Sie wollte – und wurde prompt gewählt. Seitdem ist sie das Hastedter Deichamtsmitglied und ist dort in der Gruppe Umweltschutz aktiv. »Das ist auch mein Steckenpferd«, sagt Bredow.
Deshalb ist es ihr auch besonders wichtig, sich für Artenschutz der Pflanzen auf dem Deich einzusetzen. »Wir möchten, dass die Deiche nicht nur kommerziell gepflegt werden, sondern auch naturbelassen sind«, fügt Bredow hinzu. Wie der Slogan ihrer Liste, »Deichschutz, Klimaschutz, Naturschutz«, es schon andeute, wolle sie diese drei Punkte gleichwertig vertreten. Außerdem wolle sie Frauen im Deich- und Naturschutz sichtbarer machen.
Für die Bürgergruppe Deichsicherheit tritt Jürgen Hoffhenke an. Sein Vater Heinz-Hermann Hoffhenke vertrat von 1991 bis 2016 Hastedt im Deichamt. »Das ist sozusagen eine Familien-Tradition«, so Jürgen Hoffhenke. »Und als ich dieses Jahr die Anfrage von der Bürgergruppe Deichsicherheit bekam, ob ich mir vorstellen könnte, dieses Jahr zu kandidieren, brauchte ich nicht lange überlegen.«
Im Gegensatz zur eher grüneren Kandidatin Bredow vertritt Hoffhenke das bürgerlich-konservativere Lager. »Bei uns sind beispielsweise noch einige Landwirte vertreten, was bei anderen Listen nicht der Fall ist«, berichtet Hoffhenke.
Sowohl er als auch Bredow sehen den Deichabschnitt in Hastedt als gut gepflegt und sicher an. Planungen zu Baumaßnahmen in der Pauliner Marsch sieht Hoffhenke allerdings kritisch: »Baumaßnahmen in Überflutungsgebieten können den Deichschutz negativ beeinflussen, indem sie der Weser zum Beispiel Rückhaltevolumen nehmen und Extremwasserstände wahrscheinlicher machen«, so Hoffhenke gegenüber hohwisch.de. Könnte der Hochwasserschutz in der Pauliner Marsch nicht gewährleistet werden, sollte von Baumaßnahmen abgesehen werden, meint Hoffhenke.
Bei einer Wiederwahl möchte sich Gabriele Bredow für mehr Bürgerbeteiligung bezüglich der Deiche einsetzen: »Ich möchte die Bevölkerung fragen: Was wünschen Sie sich für die Deiche?« Sie könnte sich beispielsweise eine durchgehende Beleuchtung des Weseruferweges zwischen Weserwehr und Erdbeerbrücke vorstellen. Eine andere Idee von Bredow ist es, die Öffentlichkeit zu den halbjährlichen Deichschauen mitzunehmen. An diesen Terminen werden Deichabschnitte abgeschritten und Maßnahmen diskutiert.
Jürgen Hoffhenke möchte den Deichverband auch an anderer Stelle in die Zukunft führen: »Als Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik, der seit über 20 Jahren in der Informationstechnologie arbeitet, möchte ich neben der Deichsicherheit und natürlich der Nachhaltigkeit auch bei Themen der Digitalisierung unterstützen und versuchen, entsprechenden Einfluss auf die Arbeit des Verbandes auszuüben.«
Wie auch Bredow und Hoffhenke sieht Deichverbands-Geschäftsführer Wilfried Döscher den Klimawandel und damit auch den Anstieg des Meeresspiegels als zentrale Herausforderung für die Zukunft. Dazu haben die Länder Bremen und Niedersachsen einen gemeinsamen »Generalplan Küstenschutz« formuliert, der unter anderem eine weitere Erhöhung der Deiche vorsieht. Für das rechte Weserufer in Bremen sind das 35 km Deich, die erhöht werden müssen, wovon allerdings bereits 55 Prozent fertig gestellt sind. Das sei aber nicht alles, sagt Döscher: »Wenn wir mit diesem Deichbauprogramm hinten fertig sind, können wir vorne schon wieder anfangen. Der Meeresspiegel steigt doch höher als ursprünglich angenommen.«
Nachtrag von Mi, 9. Juni 2021, 16.00 Uhr
Die Deichamtswahl in Hastedt hat Gabriele Bredow von der eher grünen Bremer Deichschutzliste gewonnen. Sie hatte etwas mehr als 100 Stimmen Vorsprung vor Jürgen Hoffhenke von der eher konservativen Bürgergruppe Deichsicherheit.